Afrikanische Messen
Nach und nach trudeln die Kirchgänger in der Pfarrkirche St. Stephan in Susten ein. Es ist Samstag, 18.45 Uhr. Die Abendmesse wird in einer Viertelstunde beginnen. In den Bänken sitzen etwa 30 Personen, die neu Eingetroffenen schauen sich gespannt um. Einige tuscheln. Einige fallen in das Rosenkranzgebet ein, das wie ein Summen über der Szene liegt. Am Anfang des Mittelganges steht ein Tisch mit dem goldenen Krug und der Hostiendose. Daneben zwei geflochtene Körbe. Körbe voller Früchte. Ananas, Kokosnüsse, Bananen, Granatäpfel. Am Ende des Ganges der Altar, geziert von zwei Flaggen. Nigeria und Kenia. Die Kirchenglocken läuten. Die Messe beginnt in wenigen Minuten. Die Türen zum Gotteshaus sind weit geöffnet, der Strom an Menschen, die sich in die Bänke setzen, reisst nicht ab. Das Holz knarrt. Die Kirchgänger begrüssen sich kurz, nicken einander zu, wechseln wenige Worte. Dann Stille. Es liegt Spannung in der Luft. Kurz nach 19 Uhr öffnet sich eine Seitentür an der Stirnseite der Kirche. Ein Mann trägt ein Keyboard hinein und stellt es auf. Er trägt eine schwarze Hose und ein blau-rot gemustertes Hemd. Dann das Knacken eines Mikrofons, das eingeschaltet wird. Eine Sakristanin begrüsst die Anwesenden, die mittlerweile einen Grossteil der Kirchenbänke ausfüllen. «Wir werden heute eine afrikanische Messe feiern. Zu diesem Anlass sind die Musikerinnen und Musiker der ‹Divine Melody Choristers› aus Deutschland angereist.» Sie spricht weiter, während einige Meter weiter Lautsprecher aufgestellt und eingesteckt werden. Der Chor komme soeben aus Guttet-Feschel zurück, wo ebenfalls eine afrikanische Messe gefeiert wurde. Und sie ruft die Messgänger dazu auf, sich mitreissen zu lassen. Zu klatschen, zu tanzen. Zu feiern. Sylvester Ozioko ist Vikar der Pfarreien Leuk. Wenige Tage vor der Samstagsmesse sagte er: «Die Welt ist vielfältig. Sie ist vielfältiger geworden. Das ist gut so. Ich möchte den Wallisern zeigen, wie man in meiner Heimat den Gottesdienst feiert. Und darauf freue ich mich.» Vikar Sylvester Ozioko stammt aus der Stadt Nsukka im Osten Nigerias. Die Struktur des Gottesdienstes in Afrika sei identisch zu den Messen, die man im Wallis feiere, sagt der Vikar. «Aber wie wir die Messe innerhalb dieser Struktur feiern, das unterscheidet sich. In Afrika ist der Gottesdienst eine Lebenseinstellung. Er ist eine Feier. Und wenn man feiert, dann sollte man es richtig tun.» Nun nähern sich Messdiener dem Altar, hinter ihnen gehen Pfarrer Daniel Noti und Vikar Sylvester Ozioko. Der Pfarrer trägt einen Schal aus traditionellem afrikanischem Stoff, der Vikar eine Stola mit ähnlichem Muster, das von Goldfäden durchwebt ist. Der 12-köpfige Chor beginnt zu singen, der Dirigent hebt seine Hände gen Himmel. Stimmgewaltig erfüllt das Lied die Kirche. Im Laufe der Messe werden etwa 18 Lieder gesungen, sagt Vikar Sylvester, der nun am Altar steht und seinerseits die Anwesenden begrüsst. Die Messe beginnt. In einer feierlichen Prozession mit Tanz und Instrumenten trägt der Chor das Evangelium durch den Mittelgang zum Altar, eine Sängerin übergibt das Buch Pfarrer Noti. Nach der Lesung stellt sich Vikar Sylvester auf die Stufen vor dem Altar. Er lächelt und winkt einige Mädchen zu sich, die in Röcken aus afrikanischem Stoff in der ersten Reihe sitzen. Der Vikar notiert etwas auf ein Blatt Papier, zeigt es den Messbesuchern. Dann fragt er die Mädchen reihum, was sie auf dem Papier sehen. Die Antworten sind vielfältig: Eine Drei, ein «w», ein «m», ein «E». «Genau», sagt Vikar Sylvester, «wir sehen alle etwas anderes. Dass jemand anderes recht hat, heisst nicht, dass ich falsch liege. Seien wir also tolerant gegenüber anderen. Seien wir tolerant gegenüber der Vielfalt.» Nach eineinhalb Stunden nähert sich die Messe dem Ende. Die Sustner klatschten laut mit, brachten tanzend und lachend ihre Opfergaben zu den Kollekten. Immer wieder wurden Handys hochgehalten, um die besondere Stimmung des Gottesdienstes festzuhalten. Nun tun es immer mehr von ihnen dem Chor gleich, heben die Hände und bewegen sich. Im Anschluss an den Gottesdienst spielt der Chor vor der Kirche noch einmal auf. Der Pfarrer hat sich umgezogen und trägt nun ein traditionelles Gewand. In der Hand hält er eine «Shékere», eine afrikanische Rassel. Gemeinsam mit den Musikern feiert er die gelungene Messe. Und mehr und mehr Sustner stellen sich zu den Musikern, bewegen sich mit ihnen. Sie tanzen gemeinsam. Eine Feier. Und die, so der Vikar, solle richtig gefeiert werden. (Journalistin Orfa Schweizer, Walliser Bote)